Aitel

Aitel am Gaumen: Was ein neues Fischkochbuch mit mir gemacht hat

von Stefan Tesch

Muss es immer Zander oder Forelle sein? Ich sage nein, und mache den Versuch mit einem kulinarischen Underdog. Inspiriert vom neuen Kochbuch des Spitzenkochs Lukas Nagl über heimischen Fisch.

Ich muss gestehen, ich habe nur ganz kurz reingeblättert. Das Lesen von neuen Büchern hebt man sich ja meistens für später auf. Doch es hat mich sofort zum Nacheifern angestiftet. Denn jene Selbstverständlichkeit, mit der Weißfische à la Nase, Barbe und Aitel, neben den klassischen Küchenfischen Karpfen, Zander und Forelle im Buch „Der Fischer und der Koch“ daherkommen, ist beachtlich. Das will ich jetzt auch erleben!

Also schnell ans Wasser. Zu lange war die Abstinenz vom Fischen eh schon, und noch viel länger vom Fischessen. Mein heuriges Revier ist das Flusssystem von Mödling, Schwechat, Triesting & Co. bei Achau in Niederösterreich. Was es wohl heute wird? Ein Aitel! Gut 40 Zentimeter und sichtlich wohlgenährt. In Niederösterreich genießt dieser Fisch weder Schonzeit noch Brittelmaß. 

Filetieren, schröpfen, salzen, mit Zitrone beträufeln und eine halbe Stunde ziehen lassen. Die Filets in Mehl mit etwas Paprikapulver tunken und dann in der Pfanne mit viel Öl braten. Geschmacklich „keine Forelle“, wie ich meinem Fischerspezl wenig später auf WhatsApp schreiben werden. Aber dafür würzig und originell. Er schmeckt intensiv nach Fisch, hat eine Note der Umgebungsgerüche, die am Ort des Fanges umhergeschwebt sind.

Aufgrund seines fast drehrunden Körperbaus ist das Rückenstück angenehm dick und trotz längerer Bratzeit saftig. Während des Essens versuche ich den Vergleich mit der Forelle – die in diesem Revier übrigens auch vorkommt – wieder auszublenden. Karpfenartige an die Messlatte der Salmoniden zu stellen, ist unprofessionell. Ganz besonders für einen Fischer.

Später denke ich mir: Haben wir den Geschmack von Weißfischen etwa „verlernt“? Zander und Forelle kitzeln den Gaumen auf subtile Weise. Mit ihrem hohen Preis nehmen wir diesen Geschmack als hochwertig wahr. Beim Wein geht es oft um Terroir und den im Fass eingefangenen Boden der Reben. So beeinflussen neben der Art eben Jahreszeit, Nahrung und Gewässer den Geschmack eines Fisches.

Daher schmeckt mein gebratener Aitel nach seiner flüssigen Heimat „Mödling“ (gemeint ist der Fluss, nicht die Stadt südlich von Wien), die in der Nähe von Sulz im Wienerwald entspringt und dort den romantischen Namen Mödlinger Wildbach trägt. Die Böden der Felder, die Wälder, aber auch seine Zuflüsse namens Wienerneustädter Kanal und Marbach formen die Geschmacksnuancen. Der Aitel ist ein echter Wildfisch und stammt aus keiner Zucht. Er wurde in seiner Kindheit nicht mit Fischmehlpellets gefüttert und nicht per LKW transportiert. Seine Eltern haben ihn auf ganz natürliche Weise gezeugt. Wo, das bleibt deren Geheimnis.

Der gebratene Aitel aus der „Mödling“. Schlechtes Foto, aber origineller Geschmack.

Das neue Kochbuch von Lukas Nagl über heimische Fische

Nach diesem Aitelmahl fühle ich mich bereit, mir das eingangs erwähnte Buch „Der Fischer und der Koch“ zu Gemüte zu führen. Lukas Nagl, Küchenchef im Restaurant Bootshaus im Seehotel „Das Traunsee“ in Traunkirchen, befasst sich in dem 330 Seiten starken Werk aus dem Hause Servus (Red Bull Media House) mit dem Weg heimischer Fische vom Wasser auf den Teller. 

Das haptisch sowie grafisch ansprechende Buch im fast quadratischen Format richtet sich an Fischer und Nicht-Fischer gleichermaßen. Essenz ist das Kapitel „Grundlagen der Fischküche“. Nagel nimmt den Leser auf detaillierte und präzise bebilderte Schritt-für-Schritt-Anleitungen zum Zerlegen und vor allem Filetieren verschiedener Fische mit. Insiderwissen sind etwa die Schnitttechniken, mit denen sich bei Hechtfilets die Y-Gräten entfernen lassen. Aber auch Schröpfen, der Schmetterlingsschnitt und die Innereien bekommen eine würdige Bühne. Salzen, Säuern, Räuchern, ja sogar die Reifung durch Lagerung von heimischem Fisch (Wusstet ihr etwa, dass Hechte bis zu vier Tage reifen können bzw. sollen?) exerziert Nagl minutiös vor. Selbst Schuld, wer da noch still sitzen kann und nicht gleich an den nächsten Fang denkt.

Das Kochbuch von Spitzenkoch Lukas Nagl vom Traunsee ist im März 2023 erschienen und kostet 48 €.

In den Kapiteln mit Rezepten geht es dann schon etwas abgefreakter zu: Karpfenleberkäse, Hechtkutteln in Molkesauce, Zanderkopf flambiert, Saiblingstoast. Hut ab vor dem, der das nachkocht. Aber auch Klassiker wie Backfisch, Forelle Müllerin sind dabei.

Horizonterweiternd ist die Abteilung für Kaltes und Mariniertes: „Seevice“, Reinankenmatjes, Rollmops (aus Reinanke, Forelle oder Saibling) und Sardellenringerl aus kleinen Fischen. Gut zu wissen, dass es nicht immer Meeresfisch sein muss.

Auch als Fischer lese ich in diesem Buch gerne die Reportagen über den letzten Berufsfischer an der Donau (beängstigend, wie stark der Artenvielfalt und Fischreichtum zurückgegangen ist!), übers Fliegenfischen an der Ybbs, Seefischen im Salzkammergut und über eine Karpfenzucht im Waldviertel. 

Fazit

Dass selbstgefangener Fisch – ganz besonders Wildfisch aus heimischen Gewässern – am Teller an Urigkeit nicht zu überbieten ist, brauche ich wohl nicht zu betonen. Oder doch? Schließlich leben wir in einer Zeit, in der Nachhaltigkeit zum Trend erhoben wurde und gleichzeitig Opfer inflationären Phrasendreschens geworden ist.

Lukas Nagls Werk „Der Fischer und der Koch“ ist ein Loblied an den heimischen Fisch. Konserviert in einem hochwertigen Printprodukt zum Selberdurchblättern oder Verschenken. Nehmen wir es als Anstoß, der Wertschätzung gegenüber unseren Fischarten einen frischen Anstrich zu verpassen.

Podcast-Tipp

In dieser Folge des Fisch Ahoi Podcasts erzählt ÖKF-Präsident Präsident Helmut Belanyecz unter anderem davon, wie einst an der Donau der Hausen (Stör) gefangen wurde, wie üppig in seiner Jugend die Fischbestände waren und dass Weißfische am Teller zu seinem Alltag gehören.

Hier geht es zu allen Folgen des Fisch Ahoi Podcasts.